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von
CHIBO ONYEJI
Die tragischen Ereignisse im Fall Kureng im Jahr 1997 zeichneten eine
Art Sinnbild. Sie deckten eine Reihe von polizeilichen Übergriffen,
Pseudoerklärungen und Lügen auf, die einer Erklärung bedurften,
um verstanden zu werden. Nun, da Einzelheiten in der Causa Marcus O. ans
Tageslicht kommen, gewinnt dieser Vorfall wieder an Bedeutung. Er liefert
eine Erklärung, warum so viele Menschen, insbesondere Schwarzafrikaner,
den Polizeiberichten einfach keinen Glauben schenken können.
Am 12. März 1997 wurde Herr Kureng Akuei, ein Diplomat unteren Ranges
(Dritter Sekretär) an der Sudanesichen Botschaft, im 10. Wiener Gemeidebezirk
auf der Straße von einem Polizisten angehalten. Der Aufforderung
des Polizisten Folge leistend, zeigte Kureng Akuei seinen Diplomatenausweis.
Der Beamte prüfte den Ausweis sorgfältig und tätigte daraufhin
einen Telefonanruf.
Kurz darauf fuhr eine Funkstreife vor, mehrere Polizisten nahmen Herrn
Akuei fest und brachten ihn aufs Kommissariat. Dort wurde Herr Akuei gezwungen,
sich bis auf die Unterwäsche auszukleiden. Die Beamten durchsuchten
seine Kleidung und begannen schließlich auf Herrn Akuei einzutreten
und ihn aufs Brutalste zu schlagen. Nach diesem rassistischen Übergriff
schrieb das österreichische Wochenmagazin NEWS: Seine Unterlippe
blutete. Die rechte Schulter war angeschwollen. Ein Knopf seines Mantels
fehlte.
Als die Beamten nach vollbrachter Tat Herrn Akuei aufforderten, sich wieder
anzukleiden, verneinte dieser höflich. Stattdessen bat er um Erlaubnis,
die Sudanesische Botschaft anrufen zu dürfen. An diesem kleinen Zeichen
des Widerstandes erkannten die Polizeibeamten wahrscheinlich zum ersten
Mal, dass ihr Opfer, ihre afrikanische "Beute", nicht ganz so
dumm war, wie sie die ganze Zeit angenommen hatten.
Doch das war kein Grund, dem rücksichtslosen Treiben einfach ein
Ende zu setzen. Ihre wilde Party wäre nicht nur plötzlich vorbei
gewesen, die zu erwartenden Konsequenzen wären weit bedrohlicher
ausgefallen, als der schlimmste Kater nach der wildesten Party. Aus Angst
vor den Folgen wiesen sie die Forderung des Diplomaten zurück: Ein
Anruf bei der Botschaft käme nicht in Frage.
Daraufhin musste der afrikanische Diplomat noch einmal ein hohes Maß
an Zivilcourage, Besonnenheit und Geistesgegenwart an den Tag legen, um
den Polizeibeamten unmissverständlich klarzumachen, dass er in jedem
Fall auf diesen Anruf bestehen würde. Entweder er könne die
Botschaft nun anrufen oder er würde das Kommissariat auf der Stelle,
mit oder ohne Kleider, verlassen. Dieser Versuch schlug schließlich
fehl.
Sein Ziel hatte er damit aber erreicht: Die Polizeibeamten selbst setzten
sich telefonisch mit der Botschaft in Verbindung. Sie waren beunruhigt,
denn sie wussten, dass die simple Forderung ihres Opfers völlig legitim
war. Sie wussten auch, dass sie in jeder Hinsicht und die ganze Zeit über
im Unrecht waren.
Als Vertreter der Sudanesichen Botschaft im Polizeikommissariat ankamen,
machten sie zunächst einige Fotos von ihrem Arbeitskollegen: in dem
Zustand, in dem sie ihn vorgefunden hatten: blutverschmiert und halbnackt,
aber ruhig.
In Anlehnung an das PROFIL-Cover der Ausgabe vom 19. August 1996, das
einen "gesuchten" Mann zeigt, einmal von vorne und einmal von
der Seite fotografiert, dessen einziges besonderes Kennzeichen seine "schwarze
Hautfarbe" ist, berichtete der Vorstand der sudanesischen Vereinigung
in Österreich in einer darauffolgenden Stellungnahme zu dem Vorfall,
dass "die Polizei Instruktionen erhalten hat, alle Schwarzen anzuhalten
und zu durchsuchen."
Ob solche Instruktionen tatsächlich jemals erteilt worden waren,
konnte nie geklärt werden. Doch darin steckt die Wurzel dieses beunruhigenden
Sinnbilds, in dem österreichische Polizisten offensichtlich die Veranlassung
und die moralische Legitimation sehen, "alle" Afrikaner wie
Kureng Akuei oder Marcus Omofuma zu behandeln. Der Schwarze in diesem,
ihrem Bild, ist eine Wesen, das den untersten Platz in der Menschheitsskala
einnimmt und auch dazu bestimmt ist, niemals in dieser Skala aufzusteigen.
Um keinen Preis.
Wenn dieser Preis lautet, dass Gesetzeshüter grundlegende Menschenrechte,
wie etwa auf der Straße zu gehen, verletzen (und Schwarze sind von
Rechts wegen Menschen), dann muss er eben bezahlt werden. Ist der Preis
der Verzicht auf einen gewaltfreien Umgang mit Menschen, die sich in Polizeigewahrsam
befinden, so wird er bezahlt. Grundlose Festnahmen oder Strafen, menschenunwürdige
Behandlungen, Gewaltanwendungen, alles ist drin...
Aber nun geht es um den Tod eines in Polizeigewahrsam befindlichen Menschen.
Marcus O. starb in Gewahrsam und in der Obhut österreichischer Polizeibeamten
auf seinem Flug nach Bulgarien. Er erstickte. War es bloß fahrlässiges
(gleichgültiges) Handeln, oder steckte mehr dahinter? Werden wir
es jemals erfahren? Werden wir die Erklärungen jemals akzeptieren
können? Nach allem wissen wir, dass die Wahrheit etwas ist, was die
Polizei geneigt ist, zu opfern, diesen Preis ist sie bereit zu zahlen,
um ihren selbsterteilten Überlegenheitsanspruch gegenüber Schwarzen
aufrechtzuerhalten.
In den Augen der Exekutive handelt es sich nicht um Lügen, sondern
um Nach-Krisenmanagement. So gab die Polizei etwa an, dass Herr Kureng
Akuei festgenommen wurde, weil er Widerstand gegen die Staatsgewalt leistete,
nachdem er sein Auto falsch geparkt hatte. Doch irgendwie kam die Wahrheit
doch ans Licht. Die Wahrheit in diesem Fall lautete, dass Herr Akuei zu
diesem Zeitpunkt weder ein Auto, noch einen Führerschein besaß.
Leistete Marcus O., der auf seinem Flug nach Bulgarien in der Obhut von
Polizeibeamten starbt, ebenfalls "Widerstand gegen die Staatsgewalt"?
Hatte er etwa seinen Körper "falsch geparkt"? Können
wir der Version der Polizei, ihrer Schilderung des Todes von Marcus O.
in einer Flugzeugkabine, einfach Glauben schenken?
Aus diesem Grund haben die Schwarzen in diesem Land nie an die Polizeiberichte
rund um den tragischen Tod des Marcus O. geglaubt. Das ist auch der Grund,
weshalb die Ablehnung einer Rücktrittsaufforderung an den Innenminister
so beängstigend ist. Das ist auch der Grund, weshalb die Ausreden
und Begrüdungen des Innenministers für seinen Verbleib im Amt
nach wie vor beängstigen. Das ist auch der Grund, weshalb der Beschluss
der zuständigen Disziplinarkommission, die drei Polizeibeamten unter
deren Obhut Marcus O. starb, nicht vom Dienst zu suspendieren, derartig
erschreckend ist und den Verdacht unter der schwarzen Bevölkerung
weckt, dass es sich dabei nur um ein geschicktes Manöver handelt,
dem Innenminister die Gelegenheit zu Wiedergutmachung zu geben, indem
er den Beschluss der Kommission ablehnt.
Die Peiniger von Kureng Akuei wussten (oder waren der felsenfesten Überzeugung),
dass sie immer mit Rückendeckung rechnen konnten. Auch jene Beamten,
die mit dem Tod von Marcus Omofuma in Verbindung gebracht werden, wirken
diesbezüglich ebenso zuversichtlich. Das ist der erschreckendste
Teil der Geschichte, speziell wenn man berücksichtigt, dass der bulgarische
Obduktionsbericht den Tod durch Erstickung bestätigt hat. Werden
österreichische Gerichtsmediziner zu einem gegenteiligen Schluss
kommen und unsere Angst weiter schüren? Mittlerweile sorgen die Einzelheiten,
die über Omofumas Deutschlandaufenthalt ans Licht kommen - der Umstand,
dass er zwei Pässe auf verschiedene Namen hatte, dass er in Halle
illegal beschäftigt war und weitere Details, die noch folgen werden
- für mehr als Erleichterung. Wenn sie überhaupt einen Beweis
für etwas liefern, dann nur dafür, wie dick die Mauern der Festung
Europas geworden sind. Nicht einmal die allseits beklatschte, sensationelle
und "erfolgreichste" Drogenoffensive in der "Geschichte
der Republik" kann über die eigentliche Thematik hinwegtäuschen.
In der Tragödie vom Tod des Marcus Omofuma sind diese Häppchen
nichts weiter als Fußnoten. Und je mehr diese Fußnoten zum
Kernpunkt der Bemühungen werden, desto klarer wird das unglaubliche
Ausmaß der Perversion.
© Mai
1999 Chibo Onyeji
POST SCRIPTUM
Eine Frage
der Bedeutung
Seit Mai1999,
als der obige Artikel verfasst (und bedauerlicherweise nicht veröffentlicht)
worden ist, sind Informationen hinzugekommen und viele Fakten zugänglich
geworden. Jetzt wissen wir zum Beispiel, dass "O" für Omofuma
steht. Wir wissen ebenso, dass eine in Österreich durchgeführte
Autopsie zu anderen Ergebnissen gelangte, als die in Bulgarien durchgeführte
Autopsie, die ergeben hatte, dass der Tod von Marcus Omofuma durch Erstickung
herbeigeführt wurde, ein Ergebnis, das eine im nachhinein in Deutschland
durchgeführte Autopsie bestätigte. Mit dem Entscheid, die drei
Polizeibeamten, unter deren Gewahrsam Marcus Omofuma starb, zu belangen,
wenn auch erst fast drei Jahre nach dem Vorfall, lässt das Justizministerium
im Grunde die tragischen Ereignisse rund um den Todesfall unberücksichtigt,
so dass die eigentliche Bedeutung Omofumas Tod, nicht der Vorfall selbst,
zu verblassen droht. Doch die Bedeutung eines Ereignisses ist niemals
unwichtiger als das Ereignis selbst. Vielmehr ist die "Bedeutung"
oft wichtiger, denn diese kann auch noch nach Lebzeiten zunehmen- wie
im Fall von Omofuma. Eine Tatsache, die durch den Entscheid des Justizministeriums
bestätigt wurden.
Ob die Beamten nun, wegen "fahrlässiger Tötung", wegen
"Mißbrauchs eines Häftlings und Körperverletzung
mit Todesfolge", wegen "Verhöhnung eines Häftlings"
oder "rechtswidrigen Handelns" - die Spekulationen in den Zeitungen
sind weitreichend - angeklagt werden, wesentlich wichtiger und ermutigender
sind die gegenwärtige Anzeichen dafür, dass das System, alles
in allem, noch funktioniert. Am 4. März 2002 werden wir im Landesgericht
von Korneuburg erfahren, wie die Anklageschriften letztendlich lauten,
und welches Urteil in Folge dessen gefällt wird. Wie auch immer das
Urteil ausfallen wird, seine Bedeutung wird (wie die Bedeutung der im
obigen Artikel dargelegten Fakten) bestimmt mehr zählen, als das
Urteil selbst. Ein autonomer und unabhängiger Gerichtshof muss die
Fakten auf ihre Wichtigkeit und Bedeutung überprüfen und sich
dann für die Bedeutung eines Schuldspruchs oder die Bedeutung eines
Freispruchs entscheiden.
Mittlerweile fühlen wir uns wie werdende Eltern. Das Geschlecht des
Kindes ist den Eltern dank der modernen Wissenschaft bereits bekannt.
Doch die Aufregung, endlich zu erfahren, wie ihr Kind aussehen wird, welches
Gesicht es haben wird, ist so groß wie eh und je. Die Aufregung
ist wahrscheinlich dehalb so groß, weil im Endeffekt, sowohl Geschlecht
als auch Wissenschaft bedeutungsloser sind als ein menschliches Gesicht.
© Februar
2002 Chibo Onyeji
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