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Am 4. März
2002 begann am Landesgericht Korneuburg bei Wien der Prozess gegen drei
Fremdenpolizisten. Die Anklage lautet: Quälen eines Gefangenen
mit Todesfolge. Im Prozess selbst ging es bisher vor allem um die
Frage, warum die Verklebung nicht rechtzeitig abgenommen wurde. Am 8.
April waren nun die ersten - und voraussichtlich letzten - unabhängigen
ZeugInnen geladen. Die aus Holland angereisten ZeugInnen waren PassagierInnen
des Fluges, auf dem Marcus Omofuma erstickte. Ihre Schilderungen sprachen
eine klare Sprache, nach der sich die Anklage fast wie eine Entschuldigung
anhört. Um ihre Aussagen zu relativieren, wurde vor Gericht versucht,
die ZeugInnen als unglaubwürdig darzustellen.
Die Befragung
der ersten Zeugin begann der Richter mit der Feststellung, dass er nur
ergänzende Fragen zu den Einvernahmen im Juni 1999 stellen wolle.
Sein Interesse beschränke sich darauf, wie Marcus Omofuma in den
Sitz gesetzt und dort fixiert wurde. Wie er ins Flugzeug gebracht wurde,
interessiere ihm nicht. Er unterbrach im Laufe der Verhandlung auch ZeugInnen,
wenn sie von sich aus auf die Begleitumstände eingingen. Die Aussage
einer Passagierin, dass es klar war, dass der Festgebundene und mit Klebeband
mehrmals umwickelte Probleme hatte, genügend Atemluft zu bekommen,
da auch sein Kopf und Hals fast vollständig mit Klebeband umwickelt
waren, wertete der Richter als subjektiven Eindruck - die Klärung
dieser Frage wäre Aufgabe der Sachverständigen.
Todeskampf
Die am 8.
April geladenen ZeugInnen waren allesamt BegleiterInnen und Eltern einer
Kindergruppe aus Holland, die auf einer drei Jahre lang vorbereiteten
Reise nach Bulgarien waren. Die Kinder mussten in den bisherigen Darstellungen
im Prozess als Rechtfertigung für die Behandlung Marcus Omofumas
herhalten, da dieser - so die Angeklagten - durch sein Verhalten und seine
Schreie Angst verbreitete und Panik verursacht hätte, wäre ihm
das Klebeband vorzeitig abgenommen worden.
Alle befragten PassagierInnen waren sich jedoch einig, dass von Marcus
Omofuma keinerlei Gefahr ausgegangen ist. Sie beschrieben seinen Widerstand
als Todeskampf, als Widerstand gegen die ihm zuteil werdende unmenschliche
Behandlung. Eher hätten sie sich vor den begleitenden Beamten gefürchtet
und die Situation als für Marcus bedrohlich empfunden. Dieser hatte
zu keiner Zeit die Möglichkeit, sich zu bewegen. Eine Zeugin erwähnte,
dass sie angenommen hätte, dass es sich bei der verschnürten
und mit Klebeband umwickelten Person um einen Verbrecher handeln müsse
- aber selbst einen Verbrecher dürfe eine derartige Behandlung nicht
zuteil werden.
Eine Zeugin sagte: Irgendwann hat man das Gefühl, man muss
aufstehen und etwas unternehmen. Mehrmals waren PassagierInnen während
des Fluges an die Crew sowie an die begleitenden Beamten herangetreten,
um diese mit der Behandlung Marcus Omofumas zu konfrontieren. Für
diese waren jedoch nach eigenen Angaben an den vergangenen Prozesstagen
Problemabschiebungen, bei denen es häufig zu Fesselungen
und Knebelungen kam, gängige Praxis. Deshalb verwundern die Antworten
nicht: Wir tun nur unseren Auftrag (von den Fremdenpolizisten)
oder: Wir können nichts tun (von der Crew). Das Personal
sei jedenfalls sehr angespannt gewesen und wies die PassagierInnen immer
wieder darauf hin, die Plätze einzunehmen.
Auf die Frage, ob sie bei den Beamten Verletzungen wahrgenommen hätten,
antworteten alle Befragten mit einem klaren Nein. Dies erscheint
vor allem wichtig, da ein Angeklagter angab, von Marcus Omofuma gebissen
worden zu sein und selbst ein Jahr später die Verletzung noch zu
sehen gewesen sei. Knebelungen (Verklebungen) werden vor allem als Notwehrmaßnahme
gegen mögliche Bissverletzungen durch anzuschiebende Personen gerechtfertigt.
Festgezerrt wie ein Gepäckstück
Zwei Zeuginnen
befanden sich während des Fluges in unmittelbarer Nähe Marcus
Omofumas und der ihn begleitenden Beamten. Sie schilderten sehr ausführlich
die für sie unvorstellbare Behandlung durch die begleitenden Beamten.
Diese - nun als Angeklagte vor Gericht - wurden bei den Aussagen sichtbar
unruhiger.
Jedes Mal wenn Marcus Gegenwehr geleistet hätte oder sich irgendwie
bemerkbar machte, wurde er nach Aussage der Zeuginnen noch fester an den
Sitz geklebt bzw. gezerrt. Die Beamten verwendeten dazu braunes Klebeband,
wie es bei Übersiedlungen zum Verkleben von Kartons verwendet wird
und ein Zerrband. Letzteres wird von den Angeklagten bestritten. Sie hätten
den Verstorbenen lediglich mit Klebeband an den Sessel gebunden und kurzzeitig
ein Gummiband verwendet, um ihn zu fixieren. Der neben ihm sitzende Angeklagte
Josef B. hätte immer darauf geachtet, dass die Atmung in Ordnung
sei.
Die PassagierInnen empfanden das Stöhnen Marcus Omofumas als logische
Konsequenz der Atemnot. Ein Passagier aus Bulgarien hätte die Beamten
sogar gewarnt, dass sie aufpassen sollen, dass ihnen der Mann nicht erstickt.
Eine Zeugin gab an, dass sie sich im Nachhinein - sie las nach der Ankunft
in Bulgarien in diversen Zeitungen, dass Omofuma erstickt war - mitschuldig
fühlte.
Einer der ZeugInnen, ein Psychologe, wurde von Verteidiger Ofner befragt
warum er, wenn er davon ausgegangen war, dass es sich bei Marcus Omofuma
um eine Person in Not handelte, als Arzt nicht helfend einschritt. Er
erwiderte, dass er nicht davon ausgegangen war, dass die Situation lebensbedrohlich
ist - wenn dies der Fall ist, dann ist es bei Flügen üblich,
dass gefragt wird, ob ein Arzt an Bord ist. Ein Arzt wurde jedoch erst
herbeigerufen, als in Bulgarien festgestellt wurde, dass Marcus Omofuma
nicht mehr atmete. Dieser konnte nur noch den Tod feststellen.
Strategie der Verteidiger
Das Ziel
der Argumentation Rifaats und Ofners dürfte vor allem gewesen sein,
die ZeugInnen aus Holland als unglaubwürdig darzustellen. Dass ihr
Vorgehen ob der klaren Aussagen der ZeugInnen nicht ganz abgestimmt gewesen
sein dürfte, zeigte sich daran, dass sie sogar einmal zu streiten
begannen. Außerdem äußerte sich Rifaat einmal abwertend
über die Arbeit von Politikern, was den Richter dazu veranlasste,
eine Bemerkung Richtung Ofner zu machen, der ja selbst Politiker und Justizsprecher
der FPÖ ist. Rifaat war es nicht zu blöd bezüglich einer
Aussage über das Stöhnen Omofumas anzumerken, dass es auch ein
Stöhnen gäbe, dass nicht mit Atemnot oder Schmerzen zu hätte.
Rifaat, der sehr ratlos den Aussagen der ZeugInnen gegenüberstand,
legte kurz vor der Mittagspause ein Videoband vor, dass einen Widerspruch
in der Aussage einer Zeugin aufzeigen sollte. Es handelte sich dabei angeblich
um eine Aufnahme des ORF vom Mai 1999. Darin gab eine Zeugin an, dass
ein Passagier - ein Mitarbeiter der Balkan Air außer Dienst - zwei
oder drei mal auf Marcus Omofuma einschlug. In einer Aussage einige Tage
später gab sie an, dass es sich um einen Schlag handelte. Eine Aussage,
die sie auch am 8. April, fast drei Jahre später, vertrat. Nachdem
das Video vorgeführt worden war, sagte Ofner voller Freude, dass
es bei diesem Video um die Darstellung der Glaubwürdigkeit der Zeugin
ginge. Der Richter war ebenfalls zufrieden mit der kurzen Videovorführung
und erachtete es trotz Antrages Rechtsanwalts Lanskys, des Anwaltes der
Familie Omofuma, nicht für notwendig die komplette Abschrift des
Videos vorzulesen. Das Video, das erst knapp vor der betreffenden Aussage
begann, wurde auch sofort danach wieder abgeschaltet. Die Zeugin bejahte
die Aussage und erklärte dass die Aussage in dem Interview als eine
erste Reaktion nach den noch nicht verarbeitenden Erlebnissen, bei denen
immerhin ein Mensch das Leben verlor, zu werten ist.
Danach legt Verteidiger Rifaat noch ein Schäufelchen nach und behauptet,
ihm sei mitgeteilt worden, dass sich die ZeugInnen am Vortag nach ihrer
Ankunft in Wien mit einem Wiener Anwalt getroffen hätten. Er beantragt
die Anschaffung des Berichtes der Polizeibehörden, die
die ZeugInnen nachher in Wien begleitet und observiert (!) haben. Und
zwar zum Beweise dafür, dass die (oben erwähnte) Zeugin
sich vor ihrer heutigen Aussage besprochen hat.
Auf die Frage, ob es so ein Treffen gab, antwortet die Zeugin, dass sie
weder mit einem österreichischen Rechtsanwalt noch mit einem/r seiner
VertreterInnen gesprochen hat.
Der Richter wirft nach Entlassung der Zeugin ein, dass er in der Mittagspause
einen Anruf von Rechtsanwalt Zanger bekommen hätte. Dieser hätte
ihm erzählt, das Rechtsanwalt Lansky über keine gültige
Vollmacht der Familie Omofuma verfüge. Er hätte bei der Rechtsanwaltskammer
eine Beschwerde gegen Lansky eingebracht, da dieser ihm (Zanger) vorgeworfen
hätte, dass er nicht für seine MandantInnen, sonder für
die Angeklagten arbeite. Außerdem solle der Prozess durch die Vertretung
Lanskys politisiert werden. Eine Entgegnung Lanskys lässt der Richter
nicht zu.
An dieser Stelle sollte jedenfalls erwähnt werden, dass Ofners Teilnahme
am Prozess als Verteidiger als Politisierung des Prozesses gewertet werden
kann. Ofner nutzte die Verhandlung, um die sicher nicht unpolitische Ansicht
zu vertreten, dass der Staat handlungsunfähig sei, würden Abschiebungen
nicht mit entsprechenden Mitteln durchgeführt. Seine emotionalen
Ausführungen und Zwischenrufe dürften vor allem auf die Beeinflussung
der SchöffInnen abzielen, die gemeinsam mit dem Richter über
Schuld oder Unschuld der Fremdenpolizisten entscheiden werden.
Als weiteres Indiz für die politische Prisanz des Prozesses spricht
wohl der Umstand, dass drei der geladenen ZeugInnen in ihrer Funktion
als ehemalige Innenminister geladen wurden (alle drei sind Mitglieder
der SPÖ).
An
den verbleibenden Prozesstagen werden drei medizinische Sachverständige
einvernommen, um die Todesursache Marcus Omofumas juristisch zu klären.
In zwei von drei Gutachten über die Todesursache wurde Tod
durch Ersticken festgestellt. Der Gutachter aus Bulgarien, der als
erster die Leiche Marcus Omofumas untersuchte, wird aus gesundheitlichen
Gründen nicht kommen. Für 15. April ist die Einvernahme der
grünen Abgeordneten Theresia Stoisits geplant, die bereits 1993 eine
parlamentarische Anfrage verfasst hatte, in der das Verkleben des Mundes
bei Abschiebungen problematisiert wurde. Falls es zu keinen weiteren Beweisanträgen
oder der Vorladung weiterer ZeugInnen kommt, wird das Gericht am 15. April
das Urteil sprechen.
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