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[ 22. Dec 2009 ]

Asylgesetz 2009: Schubhaft und Gebietsbeschränkung für Flüchtlinge

Kundgebung gegen die Fremdenrechtsnovelle am 20. Oktober 2009 in Wien.

Am 1. Jänner 2010 tritt im Rahmen der von SPÖ und ÖVP beschlossenen Novelle des Fremdenrechts 2009 ein neues Asylgesetz in Kraft. Es schreibt u.a. restriktivere Verhängung von Schubhaft und Einschränkung der Bewegungsfreiheit von Asylwerber_innen vor.

 


Rückblick


Mit der :: Asylgesetz-Novelle 2003, die am 1. Mai 2004 in Kraft trat, wurden Erstaufnahmestellen zur Durchführung eines Zuslassungsverfahrens zum Asylverfahren eingeführt. Diese befinden sich derzeit in Traiskirchen, Thalham und am Flughafen Wien Schwechat[1]. Mit eingeführt wurde eine Bestimmung, die den Aufenthalt von Asylsuchenden während der ersten 20 Tage im Zulassungsverfahren auf den Bezirk der jeweiligen Erstaufnahmestelle beschränkt. Die österreichische Bundesregierung übernahm damit teilweise die deutsche Regelung der 'Residenzpflicht'[2], die der damalige Innenminister Schily mit großem Aufwand als Kann-Bestimmung in die europäische Aufnahmerichtlinie hineinverhandelt hatte. Wegen ungerechtfertigtem Verlassens der Erstaufnahmestelle droht seither die Verhängung von Schubhaft.

Gegen die unverhältnismäßige Anwendung von Schubhaft und weitere restriktive Bestimmungen wurde beim Verfassungsgerichtshof (VfGH) Beschwerde gegen das AsylG 2003 eingelegt. In Teilen wurde das Gesetz in der Folge als :: nicht mit der Verfassung konform erklärt.

Vom VfGH aufgehobene wurde u.a. ein Passus betreffend Schubhaft der vorsah, dass das Stellen eines erneuten Asylantrages nach rechtskräftiger negativer Erstentscheidung zur Verhängung der Schubhaft führt. Hier sahen die Richter_innen eine "überschießende Wirkung". Es gebe durchaus Fälle, wo ein Folgeantrag Chancen auf Erfolg habe - und zwar bei geänderter Sach- und Rechtslage, was das Gesetz aber nicht berücksichtigte.

Die Verhängung von Schubhaft bei "ungerechtfertigter" Entfernung aus der Erstaufnahmestelle wurde jedoch als verfassungskonform bezeichnet. Das Gesetz sehe nämlich keinen ständigen zwangsweisen Aufenthalt in der Erstaufnahme vor, sondern nur bei Fällen, wo die Mitwirkung im Verfahren nötig sei. Daher sei die Bestimmung keine freiheitsbeschränkende Maßnahme und auch nicht unverhältnismäßig, so die Meinung des VfGH.

Der :: Wahrnehmungsbericht des Forum Asyl zur AsylG-Novelle 2003 hält fest, dass von den Behörden (Bundesasylamt, Statistik des Innenministeriums) keine Aufzeichnungen über die Zahl ungerechtfertigten Verlassens der Erstaufnahmestellen geführt werden. Zwischen 1. Mai und 25. Juli 2004 wurden laut parlamentarischer Anfragebeantwortung 49 Asylwerber_innen wegen dieser Bestimmung in Schubhaft genommen, im Jahr 2005 waren es 181 Personen.

Die Entscheidung darüber, ob ein_e Asylwerber_in die Erstaufnahmestelle "ungerechtfertigt verlassen hat" obliegt der Fremdenpolizeibehörde. In den Schubhaftbescheiden fehlten jedoch regelmäßig die Ausführungen, aufgrund welchen Sachverhalts die Fremdenpolizei auf ungerechtfertigtes Entfernen schloss - was auf die Willkür der Beamten hinweist.

Die teilweise Aufhebung der AsylG-Novelle 2003 durch den VfGH führte zur :: Asyl- und Fremdenrechtsnovelle 2005, die weitere restriktive Maßnahmen mit sich brachte, wie die Festnahme und Inhaftierung von Asylwerber_innen in einem sehr frühen Stadium des Verfahrens ohne entsprechende Rücksichtnahme auf besonders schutzbedürftige Personen und Situationen, wie das Forum Asyl in einer :: Kampagne gegen Schubhaft für Asylwerber_innen kritisierte. Laut :: Stellungnahme der asylkoordination vom 8. April 2008 erfolgt die Inhaftierung im Zusammenhang mit der Dublin II Verordnung in Österreich systematisch gleich nach der Einreise, nicht erst dann, wenn die Zuständigkeit zwischen den EU-Staaten bereits geklärt wurde. Die systematische Schubhaftverhängung bei Asylwerber_nnen wurde durch zahlreiche Entscheidungen der Höchstgerichte zwar eingedämmt, die Regierung hat mit der Fremdenrechtsnovelle 2009 aber neuen Handlungsspielraum für die Fremdenpolizei aufgetan, so die asylkoordination in einer :: Aussendung vom 10. Dezember 2009.


Verschärfungen ab 2010


Die :: Asyl- und Fremdenrechtsnovelle 2009, die mit 1. Jänner 2010 in Kraft tritt, bringt u.a. verschärfte Verhängung von Schubhaft und eine Ausweitung der Gebietsbeschränkungen für Asylwerver_innen (siehe Gestezstext). War die Einschränkung der Bewegungsfreiheit bisher auf die ersten 20 Tage des Zulassungsverfahrens begrenzt, wird diese Befristung nun aufgehoben. Das kann dazu führen, dass die Bewegungsfreiheit für mehrere Monate eingeschränkt wird - nämlich so lange, bis das Bundesasylamt darüber entschieden hat, ob Österreich für die Durchführung des Asylverfahrens nach :: Dublin II zuständig ist. Die Verletzung der Gebietsbeschränkung wird mit Geldstrafen von 1000 bis 5000 Euro oder mit drei Wochen Haft bestraft. Außerdem wird zum 1. Jänner 2010 im Zulassungsverfahren eine Meldepflicht eingeführt. Alle zwei Tage müssen sich Asylsuchende bei der Polizei oder der Lagerleitung melden. Tun sie das mehrmals nicht, wird Schubhaft angeordnet.

Da AsylwerberInnen in der Regel mittellos sind, werden sie zuerst eine Ersatzfreiheitsstrafe bis zu drei Wochen absitzen, die dann nahtlos in Schubhaft übergehen wird. Schon der Besuch bei einer_m Anwält_in, einer Beratungsstelle oder Angehörigen kann diese massiven Folgen für Flüchtlinge auslösen. Mit dem "Zweck von Schubhaft" zur Sicherung einer bevorstehenden Abschiebung ist die Inhaftierung wegen des Aufenthalts außerhalb des Bezirks oder eines versäumten Meldetermins nicht vereinbar, sondern hat eindeutig Strafcharakter.


Im Asylverfahren


Während im Zulassungsverfahren zum Asylverfahren wegen "Nicht-Zuständigkeit" Österreichs :: abgelehnte Antragsteller_innen in der Regel in Schubhaft genommen werden, können sich zum Asylverfahren zugelassene Flüchtlinge in ganz Österreich aufhalten. Sie haben darüber hinaus Anspruch auf :: Grundversorgung, welche Unterkunft, Verpflegung, Krankenversicherung und ein Taschengeld von 40 Euro monatlich umfasst. In den Flüchtlingsunterkünften besteht allerdings Anwesenheitspflicht. Die Kontrollen sind teilweise sehr willkürlich und es gibt zahlreiche Einschränkungen. Wer mehr als drei Tage abwesend ist, verliert die Grundversorgung.


Institutionalisierter Rassismus


Festzuhalten ist: Österreich baute mit den zahlreichen Asyl- und Fremdenrechtsnovellen der vergangenen Jahre das System des institutionellen Rassismus ständig aus. Von zahlreichen Organisationen gab es :: Kritik an den neuen Bestimmungen. Amnesty International stellte in einer Stellungnahme zum Gesetzesentwurf im Juli 2009 fest:

"Amnesty International drückt seine Besorgnis darüber aus, dass der Aufbau und die Formulierungen der Novelle und insbesondere auch der "Erläuternden Bemerkungen" geeignet sind, fremdenfeindliche und rassistische Haltungen in der Bevölkerung wie auch bei den vollziehenden Behörden zu erzeugen bzw. zu verstärken. Die vorgesehen gesetzlichen Bestimmungen und die darauf bezugnehmenden "Erläuternden Bemerkungen" nehmen in auffallendem Ausmaß Pauschalverdächtigungen von Fremden vor. Hervorzuheben sind weiters die Allgegenwart eines Missbrauchsverdachtes durch Fremde, die mannigfachen, überschießenden Strafmaßnahmen und die zahlreichen Querverbindungen zum Strafrecht. Dadurch tritt der eigentliche Zweck des Gesetzes, nämlich der Schutz von schutzbedürftigen Personen völlig in den Hintergrund." (:: amnesty.at zum Fremdenrechtspaket 2009)


Gesetzestext der Verschärfungen des österreichischen Asylgesetzes


Auszug aus dem :: Österreichischen BGBl. I Nr. 122/2009 v. 04.12.2009

Gebietsbeschränkung

§ 12 Abs. 2 Der Aufenthalt eines Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat und dem kein Aufenthaltsrecht zukommt, ist für die Dauer des Zulassungsverfahrens vor dem Bundesasylamt lediglich im Gebiet der Bezirksverwaltungsbehörde, in dem sich sein Aufenthaltsort im Sinne des § 15 Abs. 1 Z 4 befindet, geduldet. Darüber hinaus ist sein Aufenthalt im gesamten Bundesgebiet geduldet, wenn und solange dies

    1. zur Erfüllung von gesetzlichen Pflichten notwendig ist;
    2. notwendig ist, um Ladungen von Gerichten und Verwaltungsbehörden Folge zu leisten oder
    3. für die Inanspruchnahme einer medizinischen Versorgung und Behandlung notwendig ist.
Nach Abschluss des Zulassungsverfahrens vor dem Bundesasylamt ist der Aufenthalt des Fremden, solange ihm faktischer Abschiebeschutz zukommt, im gesamten Bundesgebiet geduldet.

Meldeverpflichtung

§ 15a Abs. 1 Fremde im Zulassungsverfahren unterliegen einer periodischen Meldeverpflichtung, wenn
    1. eine Mitteilung nach § 29 Abs. 3 Z 4 bis 6 erfolgt oder
    2. dem Fremden gemäß § 12a Abs. 1 ein faktischer Abschiebeschutz nicht zukommt und
über den Fremden weder Schubhaft verhängt wurde, noch gegen ihn ein gelinderes Mittel angewandt wird.

(2) Zur Erfüllung der Meldeverpflichtung gemäß Abs. 1 haben sich Fremde, die nicht in einer Betreuungseinrichtung des Bundes versorgt werden, in periodischen, 48 Stunden nicht unterschreitenden, Abständen bei einer zu bestimmenden Polizeiinspektion zu melden. Die dafür notwendigen Angaben, wie insbesondere die zuständige Polizeiinspektion sowie Zeitraum und Zeitpunkt der Meldung, sind dem Fremden vom Bundesasylamt mit Verfahrensanordnung (§ 63 Abs. 2 AVG) mitzuteilen. Für Fremde, die in einer Betreuungseinrichtung des Bundes versorgt werden, gilt die Abwesenheit von mindestens 48 Stunden von der Betreuungseinrichtung als Verletzung der Meldeverpflichtung. Die Abwesenheit von der Betreuungsstelle ist auf geeignete nachvollziehbare Weise zu dokumentieren. Eine Verletzung der Meldeverpflichtung liegt nicht vor, wenn deren Erfüllung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war.

Strafvorschriften

§ 76 Abs. 2a Die örtlich zuständige Fremdenpolizeibehörde hat über einen Asylwerber Schubhaft anzuordnen, wenn
3. der Asylwerber die Meldeverpflichtung gemäß § 15a AsylG 2005 mehr als einmal verletzt hat;

§ 121 Abs. 2 Wer sich als Fremder außerhalb des Gebietes, in dem er gemäß § 12 Abs. 2 AsylG 2005 geduldet ist, aufhält, oder eine Meldeverpflichtung gemäß §§ 15 Abs. 1 Z 4 vorletzter Satz oder 15a AsylG 2005 verletzt, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe von 1 000 Euro bis zu 5 000 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu drei Wochen, zu bestrafen.

§ 121 Abs. 5 Wer eine Tat nach Abs. 1, 2 oder 4 begeht, obwohl er wegen einer solchen Tat bereits einmal rechtskräftig bestraft wurde, ist mit Geldstrafe von 5 000 Euro bis zu 15 000 Euro oder mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Wochen zu bestrafen.



Anmerkungen


[1] Zur "Entlastung" der Erstaufnahmestellen in Traiskirchen und Thalham soll im Süden Österreichs eine weitere EAST errichtet werden. Das Innenministerium stößt dabei jedoch auf Widerstand der lokalen Bevölkerung und der jeweiligen Landesregierungen in Burgenland und Kärnten, wie die aktuelle Entwicklung über den geplanten Standort Eberau im Südburgenland verdeutlicht.
[2] Die Residenzpflicht, die im deutschen Recht festgeschrieben ist, schreibt die räumliche Beschränkung des Aufenthalts von Flüchtlingen vor. Das Verlassen des zugewiesenen Landkreises ohne Erlaubnis wird bestraft. Seit vielen Jahren gibt es Proteste gegen diese Einschränkung der Bewegungsfreiheit, siehe u.a. :: thecaravan.org und :: residenzpflicht.info.

Quellen :: Strassers Asylgesetznovelle: Verfassungswidrig!, 15. Oct 2004, :: Wahrnehmungsbericht des Forum Asyl zur AsylG-Novelle 2003, 16. Dec 2004, :: Keine Schubhaft für AsylwerberInnen, 11. Jun 2007, :: Dublin II und die Inhaftierung von Flüchtlingen, 08. Apr 2008, :: Kritik an Asylnovelle zum Weltflüchtlingstag, 21. Jun 2009, :: Appell gegen abermalige Verschärfung des Asylrechts, 06. Oct 2009, :: residenzpflicht.info, 21. Dec 2009, :: Österreichisches BGBl. I Nr. 122/2009 v. 04.12.2009